Wednesday, April 06, 2005

 

by Rolf-Peter Wille


Erstes Kapitel:

Es lebten einst vor läng’rer Zeit
- v’lleicht war’s auch gestern oder heut’ -
in einer Stadt in Afrika
das Rotkäppchen und die Mama.

(Doch vielleicht war’s auch Malaysia
in dem Palast vom Kaisiar.)

Die Mutter liebt’ das holde Kind
ganz auf die Art, wie Mütter sind.
Sie füttert’ es mit manchem Häppchen
und schenkt’ ihm auch ein rotes Käppchen
- ich glaube gar, es war Sylvester -
aus allerfeinstem Polyester.

Das klebt’ ihm auf dem Kopf, das Ding,
so daß es nicht mehr runterging.
D’rum ward es jetzt im ganzen Land
‘das Rotkäppchen’ nur noch genannt.


Zweites Kapitel:

So lebten sie gar manches Jahr,
das Rotkäppchen und die Mamar.

Doch diese hat’s an manchen Tagen
am Hals und Herz und auch am Magen.
Sie nahm das Rotkäppchen beiseite
und sprach zu ihm: "In letzter Zeite
da hab’ ich’s leider sehr am Herzen
auch Kopf-, Hals-, Nas-, Ohr-, Magenschmerzen.
D’rum, gutes Kind, so kaufe mir
ein ganz bestimmtes Elixier,
recht wirksam gegen Ohrensausen
aus fein zerrieb’nen Fledermausen."

Das Rotkäppchen sagt’: "Wird gemacht!"

Die Mutter aber: "Habe acht!
Die Stadt ist wirklich sehr gefährlich,
Die Menschen heut’ auch nicht mehr ehrlich."


Drittes Kapitel:

Doch Rotkäppchen, das lachte nur
und stand schon draußen auf dem Flur.
Es sprang ganz lustig hin und her.

Doch - oh - wie staunte es so sehr
als es den großen Marktplatz sah:
ta tü - ta ta, ta tü - ta ta.
Die Autos und die Bicyclette
die hupten eifrig um die Wette.
Und all’ die Menschen, Hunde, Affen,
die schwirr’n herum und schrei’n und gaffen.

Dem Rotkäppchen, dem ward ganz bang
von all’ dem Lärmen und Gestank.


Viertes Kapitel:

Es wollte sich das Näschen reiben
an der Geschäfte Fensterscheiben.
Da schaute plötzlich durch die Tür
ganz hämisch ein Klavier herfür.

(Klavier, Klavier — war’s nicht ein Wolf?
Beim Bechstein ja; doch nicht beim Rolf!
Der Wolf, das ist ein böses Tier.
Noch schrecklicher ist das Klavier!)

Das Kind war aber recht naiv
und nur ganz unbekümmert rief:
"Oh Herr, wie wirst Du denn genannt?
Gewiß bist Du ein Elefant?"

"Ho ho, da hast Du schlecht geschielt.
Hast Du denn nie Klavier gespielt?
‘Piano’ werd’ ich auch genannt.
Wieso? Das ist mir unbekannt,
denn meistens spreche ich im Forte!!"

Dem Rotkäppchen fehlten die Worte.
"Sag’ an, Klavier, gibt’s auch Kladrei,
Klafünf vielleicht oder Klazwei?"

"Es gibt ’nen Berg, der heißt K2,
doch das ist uns jetzt einerlei.
Schau’ lieber hier auf diese Bank.
Da sitzt Du viele Jahre lang."

"Und diese Pyramide, sag’,
warum macht sie tick-tack, tick-tack?"

"Das Metronom bewacht den Takt.
So bleibt er steif und abgehackt.
Denn, liebes Kind, mit Fantasie
lernst du die Fingertechnik nie.
Doch liebes Kind, so sage mir,
was suchst Du auf dem Marktplatz hier?
Und was ist das, Du liebe Güte,
Was trägst Du denn dort in der Tüte?"

"Die Mutter hat mich hergeschickt,
weil sie der Magen zwackt und zwickt.
Sie stöhnte sehr, d’rum bring’ ich ihr
ein ganz besimmtes Elixier
aus weichgekochten Krötenwarzen -
höchst wirksam gegen Magenschmarzen."

"Oh nein, mein liebstes rotes Käppchen!
Welch ein besonders leck’res Häppchen!"
sprach das Klavier und grinste faul.
mit seinem breiten Haifischmaul.
Auch mußt’ es mehrmals herzhaft gähnen
mit seinen schwarz’ und weißen Zähnen.
Die putzten ihm die Spezialisten -
Die sogenannten Pianisten.

"Doch sag’ nur schnell, hi hi, ha ha,
wo wohnt denn Deine Frau Mama?
Ich möchte sie wohl mal besuchen.
Sie ißt gewiß gern Erdbeerkuchen?"

"Ei freilich, ja, den ißt sie immer.
Wir wohnen dort im zweiten Zimmer."
So plaudert’ das naïve Kind.
Das Piano rollte fort geschwind.


Fünftes Kapitel:

Es rollte über Stock und Stein,
(es mußte wohl ein Steinway sein),
und klapperte mit allen Tasten.
‘Ich bin ein ganz famoser Kasten’,
so dachte bei sich das Klavier,
bestach dann eilends den Portier
und fuhr hinauf zum zweiten Zimmer.

Die Mutter machte ein Gewimmer:
"Oh Rotkäppchen, wann bringst Du mir
das ganz bestimmte Elixier?"

"Ich bring’ die besten Arzenei’n",
sprach das Klavier, "laß’ mich nur rein!
Aus fein zerhackten Mäuseknochen;
recht wirksam gegen Hals und Rochen.
So öffne nur recht schnell die Türen.
Gleich wirst Du keine Schmerzen spüren."

"Ach, liebes Kind, sei doch so nett,
komm’ schnell herein, ich lieg’im Bett.
Mein Halsweh wird ja immer schlimmer!"

Das Piano rollte stracks ins Zimmer.
"Gesegnet sei mein täglich Futter.",
sprach das Klavier und fraß die Mutter.
Es fraß sie auf mit Haut und Haar,
(sie schmeckte nicht sehr wunderbar),
und schluckt’ auch noch die Schuhe mit.
(Ich sage nur: igitt, igitt!)

Doch ach — es hatte nicht gekaut!
D’rum ward die Mutter schlecht vedaut.
Sie lebte noch im Magen weiter
Und war auch sonst gesund und heiter.


Sechstes Kapitel:

Doch das Klavier war keine Schnecke —
legt’ sich ins Bett unter die Decke.

Da kam das Rotkäppchen nach Haus.
"Hier sieht es aber komisch aus!",
so rief das Kind mit banger Stimme.
"Oh Mutter, sprich, geht es Dir schlimme?
Ich komme mit dem Elixier
Und traf auch einen Herrn Klavier…"

"Hi hi, he he, komm’ nur herein!
Du sollst mir sehr willkommen sein.
Die Tür ist offen, liebes Kind —
So komm’ doch nur herein geschwind!"

Das Rotkäppchen lief schnell zum Bett.
Die ‘Mutter’ war ganz schwarz und fett.
"Ach Mutter", fleht’ das Käppchen rot,
"sprich’, lebst Du noch? Bist Du schon tot?"

"Noch leb’ ich. Herzchen, sei so nett
und komm’ doch näher hier zum Bett!
Ach bitte, reib’ mir doch den Magen."

Das Kind erfaßt’ einUnbehagen.
Die ‘Mutter’ lugt’ zur Decke raus
und schaute gar zu gräßlich aus.
"Warum bist Du ganz schwarz lackiert?",
so fragt’ das Kind.

"Hast Du kapiert?
Es hat mehr Pietät und Takt.
Darum sind wir stets schwarz gelackt."

"Oh meine Mutter, liebste, süße —
was sind denn das für gold’ne Füße?"

"Dies alleredelste Metall
verschönt den Ton, verstärkt den Schall.
Denn hat die Hand zu große Qual,
so nimmst Du einfach viel Pedal.
Doch Vorsicht nur, daß es nicht knattert!"

Das arme Kind stand recht verdattert.
"Schau’, Dein Gebiß — ganz schwarz und weiß!"

"Gleich wirst Du’s putzen mir mit Fleiß.
Und all’ Dein Wimmern ist vergebens,
denn wart’: Nun kommt der Ernst des Lebens.
Halt’ Dich bereit — Jetzt oder nie!!",
die falsche Mutter grausam schrie,
sprang aus dem Bett wie eine Echse
vom Typ Tyrannosaurus Rexe.
Und nach dem Kind, der Saurus, schnappt’ er
so schnell wie ein Velocirappter —
(ein rein jurassisches Klavier
in nicht ganz klassischer Manier.)


Siebentes Kapitel:

Das Rotkäppchen stand ganz erschossen.
Es war im Zimmer eingeschlossen
Und mußt’ sich an’s Piano setzen,
die Finger an den Tasten wetzen.
Es übte sich ganz dumm und blöde
und schaut’ bald aus wie eine Kröde.
Zerschunden waren beide Hände
durch Czerny, Cramer und Clemende.

Doch aus dem Bauche dumpf und hohl
hört’ es der Mutter Stimme wohl:
"Üb’ immer fleißig ohne Paus’!
Das Piano spuckt mich wieder aus
in allerhöchstens sieben Jahren.
D’rum bitt’ ich Dich jetzt fortzufahren.
Spiel’ eine schnellere Etüde.
Die alte klingt bereits recht müde!"

Und auch ein Lehrer war bereit,
zu nutzen die Gelegenheit,
mit Prüfungen und Wettbewerben
die Lebensfreude zu verderben.
Jedoch die Mutter sehr verehrte,
was jener Lehrer fleißig lehrte.
Sie sangen beide um die Wette
Als Solo wie auch im Duette:
"Üb’ nur hübsch brav Dein do, re, mi,
dann spielst Du bald wie Midori!"

"Wie Midori so spiel’ ich nie,
fa, sol, la, si; fa, sol, la, si!"


Achtes Kapitel:

Und sieben Jahre war’n verflossen -
das arme Kind schon ganz verdrossen.
Doch eines Tages, from New York,
kam der Professor Goldenborg,

Dies war ein very famous master,
denn keiner spielt Piano faster.
Der hörte nur so nebenbei
des braven Kindes Klimperei
Er stand versunken ziemlich lange
und lauschte nur dem süßen Klange.
Bis der Professor plötzlich schrie:
"My God! This is a prodigy!!
And would you like to come with me?"

Das Rotkäppchen sagt’ nur: "hi hi"

Doch Goldberg sprach: "Don’t be a fool!
Please come with me to Juilliard School!"

Das Rotkäppchen, she was not shy,
Lebt’ auf Fifth Avenue, NY.
Sie kleidete sich weltgewandt,
gab auch Konzerte - höchst brillant.
Passagen spielt’ sie wie der Blitz,
Oktaven wie der Horowitz.
Sie hatte überall success
mit ihrem eleganten dress.


Neuntes Kapitel:

Sie traf auch einen Doktor med.,
von schlankem Wuchs — das Konto fett.
Der war besonders lieb und nett
als Kavalier und auch im Bett.
D’rum wohnen sie jetzt, kurz und gut,
in California, Hollywood.

Zur Hochzeit gab es nur das beste.
Es kamen nur die reichsten Gäste.
Selbst das Klavier macht’ sich den Spaß
und kam mit Singapore (first class).
Auch hielt es wirklich sein Versprechen,
die Mutter pünktlich auszubrechen.

Die lebte in der Tat noch immer
— ein hart gesott’nes Frauenzimmer.
Sie duschte sich vier Stunden lang,
da sie nach Pianoforte stank.
Doch dann vom Fuße bis zum Ohr:
Yves Saint Laurent, Christian Dior.
Und schon nach wenigen Momenten
Sprach sie mit Hollywood Akzenten.


Zehntes Kapitel:

So lebten sie dann ganz adrett
In Hollywood mit Doktor med.
Das Rotkäppchen und die Mamar,
die kannten jeden Movie Star.
Und unser liebes Klaviar
aß nur noch Lachs mit Kaviar.

Und wenn sie eines Tages sterben
So gibt es sicher viele Erben.


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